Editorial

Autor/innen

  • Vera Saller

DOI:

https://doi.org/10.18754/jfp.56.1

Abstract

Liebe Leserin, lieber Leser

Als bei einer Redaktionssitzung das Thema Psychoanalyse – lokal zum ersten Mal Gestalt annahm, löste es Begeisterung aus. Beflügelt hat uns unter anderem die Schilderung einer Arbeit, in der Fotos von Praxen in verschiedenen Teilen der Welt gezeigt werden. Wir wollten der Globalisierung etwas entgegensetzen und bewusst die lokalen Kulturen und Varianten der Psychoanalyse vorstellen und ihnen Wertschätzung entgegenbringen. Die Euphorie setzte sich fort bei der Akquisition von Projekten. Innert Kürze hatten wir eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen vor Augen, denen wir unser Projekt vorstellen wollten und die als Autorinnen, Autoren oder Kontaktpersonen für allfällige Beiträge aus verschiedenen Ländern in Frage kamen. Der Hochstimmung folgten dann aber verschiedentlich Enttäuschungen: So entschlossen sich einige der Autoren im letzten Augenblick, den Artikel doch nicht zu schreiben und für einige Kulturen/Länder war es schwierig, Autoren zu finden.

Aber nicht nur unsere Kontakte mit den Autoren beinhalteten «Fremdes», dass für uns schwer zu assimilieren war. Auch die Texte lehrten uns einiges über den Umgang mit dem Fremden. Bei jenen Autoren und Autorinnen, die direkt aus Ländern berichteten, in denen nicht Deutsch gesprochen wird, mussten wir auf Englisch umstellen. Da wir im letzten Heft mit englischsprachigen Arbeiten gute Erfahrungen gemacht hatten, sahen wir dies als Chance, auch international eher wahrgenommen zu werden. Es stellte sich dann aber heraus, dass es doch etwas schwieriger war, als wir uns das vorgestellt hatten. Die jeweils lokale Variante des Englischen als Lingua Franca verunsicherte uns sehr!

Manchmal indessen erschien uns das Fremde auch allzu bekannt und der Exotismus-Bonus kam uns abhanden. Eine stereotype Geschichte schien sich an verschiedenen Orten der Welt zu wiederholen. Da waren zuerst ein paar Künstlerinnen, Literaten oder Dadaisten, die nahmen Freud in ihre Gedankenwelt auf. Diese Pioniere verstanden sich nicht als Psychotherapeuten oder Analytikerinnen, sie nahmen Freud als Stimulus, um ihre eigenen Ideen von Befreiung und Kulturkritik zu formulieren. Später – oder auch gleichzeitig – gab es Psychiater und Psychiaterinnen, die die Psychoanalyse als Therapie schätzten, und einige von ihnen gründeten eine Gesellschaft und traten der Internationalen Vereinigung (IPA) bei. Je später die Länder zur Psychoanalyse stiessen, desto abhängiger von der IPA verlief das Prozedere: Um zur Internationalen Vereinigung zu gehören, waren nun Shuttle-Analysen nachzuweisen, oder die Kandidaten und Kandidatinnen mussten jährlich für einige Monate in Paris, London oder New York ihre Lehranalysen absolviere.

Das Oszillieren zwischen Bekanntem und der Faszination am Fremden war etwas, was mir schon aus meinem Studium der Ethnologie geläufig war. Versuchen wir, uns diesen Prozessen mit Freuds Überlegungen zum Unheimlichen zu nähern! Sie sind bekanntlich zu einem guten Teil von Ernst Jentsch inspiriert, der ein Nicht-Wissen um den Anderen zum Angelpunkt seiner Überlegungen machte. Angesichts der existentiellen Angst, die auch bei Heidegger das Unheimliche ausmacht, bewegen wir uns hier auf der Ebene der Spaltung. Dem entsprechend beinhaltet das Kennenlernen einer fremden Kultur zu Beginn oft eine Phase vorurteilsbehafteter Aneignung. Wir werden uns der Unterschiede gewahr, messen die fremden Umgangsformen an den unseren, und fällen ein Urteil: Wir idealisieren oder entwerten. Freud hat diesem Phänomen der Konfusion (die durch Spaltung gemeistert wird) die Wiederkehr des verdrängten Triebes hinzugefügt. Wenn wir uns unseren Wünschen in Bezug auf den Anderen stellen, können wir auf einem ödipalen Niveau die Auseinandersetzung mit dem Fremden führen. Unser Interesse war, herauszufinden, ob die Psychoanalyse eine solche Auseinandersetzung mit dem Fremden erlaubt.

Dabei sind indes auch Faktoren von Bedeutung, die mit Besonderheiten der Psychoanalyse als kulturellem und sozialem Ort einhergehen. Die Psychoanalyse überlebte ausserhalb der Universitäten, weil in ihr wissenschaftlicher Anspruch, Weltanschauung und therapeutische Praxis auf einmalige Art verknüpft sind. Die Verbreitung der Psychoanalyse geschah nach einem Modus, der normalerweise eher Sekten und Kirchen eigen ist. Es war aber die psychotherapeutische Praxis, und die Tatsache, dass diese in der Ärzteschaft Anklang fand, die den Psychoanalytikern und Psychoanalytikerinnen wirtschaftliches Überleben und der Theorie Verbreitung garantierten. Es ist anzunehmen, dass die ärztliche Psychoanalyse des öfteren eklektisch rezipiert wird. So wurden an einer 2014 durchgeführten Tagung zu Geographies of Psychoanalysis in Teheran drei Faktoren angeführt, die angeblich die Attraktivität der Psychoanalyse weltweit ausmachen: 1. Dass dem Patient zugehört wird, 2. dass das Trauma verstanden und 3. dass Träume ernst genommen werden.

Dafür, dass die von Freud als Merkmal der psychoanalytischen Arbeit geforderte Übertragungsanalyse mit der Zeit zu ihrem Recht kommt, sorgen die psychoanalytischen Vereinigungen. Aber, so wurde ebenfalls an der oben erwähnten Tagung gefragt, zwingt nicht die Ausbildung zum Psychoanalytiker, indem sie ein fach den Standard-Parametern folgt, der Klientel in aussereuropäischen Ländern ein gewisses Mass an westlicher Kultur auf?

Oder ist es so, dass der Psychoanalyse etwas immanent ist, was sie immer und überall mit der Vorstellung von Befreiung und Emanzipation in Verbindung bringt?

Wir sind gespannt, welche der hier angedeuteten Gedanken Sie in Ihrer Lektüre der folgenden Artikel wiederfinden.

Vera Saller

Downloads

Keine Nutzungsdaten vorhanden.

Downloads

Veröffentlicht

2015-12-01

Zitationsvorschlag

Saller, V. (2015). Editorial. Journal für Psychoanalyse, (56). https://doi.org/10.18754/jfp.56.1

Ausgabe

Rubrik

Editorial