Editorial



Sie ist ein ganz zentrales Konzept der Psychoanalyse, aber dennoch: Mit der Übertragung hat die Psychoanalyse es nicht immer leicht. Schon die Scheinschwangerschaft der Anna O. brachte nicht nur Josef Breuer in Schwierigkeiten. Übertragung par excellence erwies sie sich als ein Geschenk, das bis heute nicht einfach anzunehmen ist. Die Übertragung ist störend - und wie es Freud zu Dora schrieb - überraschend, sie wirft ständig neue Fragen auf, stellt das Wissen, das wir zu haben glauben, immer wieder in Zweifel. Es hat eine Weile gedauert, bis sie - darin dem Traum als Via Regia zum Verständnis des Unbewussten nicht unähnlich - als Motor verstanden wurde, der das Verständnis und die Erfahrung des Unbewussten immer weiter treibt. In Zürich hat besonders Fritz Morgenthaler darauf hingewiesen, dass sich der analytische Prozess und sein Verständnis entlang der Übertragung entwickeln.

So gesehen ist Übertragung nicht nur ein pathologisches Ereignis, durch dessen Abzug man zu einer wahren und eigentlichen Beziehung käme. Sie ist - durchaus in ihrer Konflikthaftigkeit - das Medium, in dem sich Beziehungen zu anderen und anderem herstellen. Darüber hinaus schafft sie Medien. Der Traum ist ebenso ein Medium, in dem sich das Unbewusste manifestiert, wie das Symptom, die Fehlleistung, die Kunst ebenso wie die Wissenschaft und die Philosophie und andere Produkte subjektiven Schaffens.

Nicht von ungefähr hat Freud den für seine Psychoanalyse zentralen Ödipuskonflikt der Literatur entnommen und ständig Übertragungen zwischen Kunst, Kultur und Psychoanalyse vorgenommen. Und wenn er als Bild für das Verständnis des Unbewussten zwischen Analytiker und Analysand das Telefon und seine Übertragung heranzieht, nimmt er Bezug zur Technik, zu einem zeitgenössischen Medium und seiner Übertragungstechnik.

Medien sind Formen von Übertragung. Die Möglichkeiten der neuen Medien und ihre Übertragungstechniken scheinen Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker heute bisweilen ebenso störend zu sein, wie es die Übertragung am Anfang ihrer Entwicklung gewesen ist. Sie können ihr gegenüber immer wieder sehr skeptisch sein, beklagen den Verlust der Sprache, einer unmittelbaren Präsenz - auch im Behandlungszimmer - und befürchten kulturellen Zerfall in narzisstischer Selbstgenügsamkeit. Dabei wäre solcher Rückzug unnötig: Sind doch Psychoanalytiker Spezialisten der Übertragung und ihrer sich immer wieder neu konfigurierenden Formen und Techniken.

Das 40-jährige Jubiläum des Psychoanalytischen Seminars Zürich (PSZ) schien ein passender Anlass zu sein, diese Fragen an einer Veranstaltung mit dem Thema Passagen, Übertragungen und Medialitäten zu thematisieren. Jubiläen sind Übergänge, bei denen es nicht nur darum geht zurückzuschauen, sondern auch die Zukunft in den Blick zu nehmen. Sie sind Stationen, an denen die aktuellen Fragen und Konflikte den Blick in die Vergangenheit neu formatieren wie auch das Kommende in ihrem Licht und mit ihren Szenarien entwerfen.

Von daher war es ein Glücksfall, dass wir dieses Jubiläum im Theater der Künste der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) feiern konnten. Die Veranstaltung ermöglichte es, die verschiedenen und in ihrer Medialität sehr unterschiedlichen Beiträge förmlich auf verschiedenen Bühnen zu spielen, was mit sich brachte, dass man sich immer wieder von einem Raum und seiner Bühne zu einem anderen begeben, manchmal sogar über die Empore zum dahinterliegenden gelangen musste - und dabei in Gefahr geraten konnte, sich zu verirren. Weiter war die Dramaturgie der Veranstaltung nicht ohne Absicht so organisiert, dass einzelne Beiträge sich überschnitten - man musste früher gehen, kam zu spät - so wie auch die Übertragung gewohnte Zusammenhänge und Bilder immer stört und aufrüttelt, sie nie ganz werden, sie nie zu einem ganzen Abschluss bringen lässt.

Diese Ausgabe des Journals für Psychoanalyse nimmt das Thema Übertragung und seine mediale Inszenierung an dieser Veranstaltung auf. Seit 2014 hat das Journal für Psychoanalyse neben der Print-Ausgabe eine digitale Online-Version, die bis dato mit der Print-Ausgabe identisch gewesen ist. Anlässlich des Themas von Übertragung und Medialität werden die digitalen Möglichkeiten der Online-Ausgabe nun extensiv genutzt. Es wird nicht nur zu lesen, sondern auch zu sehen und zu hören geben.

Das Titelbild der Print-Version dieses Hefts ist ein QR-Code. Mit ihm - nehmen Sie Ihr Smartphone zu Hand und scannen Sie ihn - kommt man auf die Online-Version. Das ist Übertragung: vom einen Ort zu einem anderen. Einem anderen Ort, an dem man etwas sehen und erfahren kann, das auf diese Art am ersten Ort nicht zu sehen und zu erfahren war. Das ist Übertragung, das ist Medialität.

Die Print-Ausgabe enthält Texte von Beiträgen dieser Veranstaltung, die ein weites Spektrum von Medien und damit verbundenen spezifischen Formen von Übertragungen thematisieren. So gehen Hayat Erdogan und Olaf Knellessen der Frage nach, was es mit dem Wechsel auf sich hat, den Samuel Beckett vollzog, als er aufhörte Theaterstücke zu schreiben und nur noch Filme, insbesondere Fernsehfilme, produzierte. Res Wepfer stellt mit Schwere Jungs und schwere Beats seine Triple-R-Methode vor, mit der er auf eindrückliche Art und Weise sehr schwierige Jugendliche in eine therapeutische Beziehung bringt, indem sie zusammen elektronisch Musik aufnehmen und produzieren. Rose Ehemann erzählt, wie Selfies und Dronies zu wichtigen Elementen für die kunsttherapeutische Arbeit mit Patientinnen und Patienten in der Psychiatrischen Klinik Wil werden. Übertragung «gegen» das Politische. Grenz-Fälle in der institutionellen Praxis der Psychoanalyse war das Thema eines bemerkenswerten und hochaktuellen Vortrags, von Beatrice Patsalides Hofmann und Catherine Perret über die Übertragungsdynamik in der psychoanalytischen Behandlung von politisch verfolgten und gefolterten Menschen, die in einem Pariser Zentrum (Centre Primo Levi) von einem multidisziplinären Team ambulant betreut werden. Raphael Perret beschäftigt eine nur scheinbar ganz andere Art der Übertragung, nämlich die des elektronischen Abfalls nach Indien und sein Schicksal dort, das zu einer Gesundheitsgefährdung für die Arbeiter wird. Wie kann man sie über die Gefahren aufklären, denen sie ständig ausgesetzt sind? Johannes Binotto hat einen Text zu Übertragungsstörungen. Psychoanalyse als Tontechnik verfasst, in dem er zeigt, dass Medien schon von vornherein Übertragung und immer auch störend sind. Peter Schneider hat sich zur Veranstaltung per Skype aus New York zugeschaltet und - wie könnte es anders sein - zur Telepathie gesprochen, wohingegen Helena Hermann, Tamara Lewin und Fidel Thomet eine App entwickelt haben, mit der eine interaktive Datenvisualisierung der Voten von Besucherinnen und Besuchern der Veranstaltung in Zürich präsentiert wurden. Tamara Lewin und Helena Hermann berichten zudem Von jenen, die auszogen, das Analysieren zu lernen, einer Diskussionsrunde, in der das Lernen von Psychoanalyse als besondere Form der Übertragung besprochen wurde. Natürlich finden Sie auch die Laudatio von Hayat Erdogan - zum Missing Link für Eva Holling - und die von Insa Härtel - zumLink 2 Future von Katharina Jabs. Und "last but not least" haben Anne Käthi Wehrli und Husam Suliman Drinks als mediales Ereignis kreiert, bei dem es nicht nur um den schon bekannten Zustand ging, in den man mit diesen Getränken durchaus geraten kann, sondern darum, grosse Analytiker und Analytikerinnen auf diese sinnliche Art und Weise erfahrbar zu machen. Dieser Beitrag erlebte seinen unübertroffenen und wahrhaft umwerfenden Höhepunkt dann zu fortgeschrittener Stunde.

Dem Aufgebot an Beiträgen der Veranstaltung fügen sich drei weitere an, die das Thema dieser Nummer ergänzen.Fabian Ludwig hat begeistert einen Beitrag zum Symptomkünstler, dem Schriftsteller Christian Kracht, geschrieben und dann noch einen zu einer aktuellen TV-Werbung beigesteuert,Hannes König aus Berlin zeigt in seinem Beitrag Film - Transformation, dass es beim Film nicht nur um eine narrative, sondern nicht zuletzt formale Transformation geht, die den Aspekt des Medialen in besonderer Weise zum Tragen bringt. Schliesslich nimmt Rolf Kühn ein Medium in den Blick, das schnell verloren geht und doch ganz zentral ist: Die besondere Zeit der Therapie.

Das also wären die Textbeiträge der Print-Version. An der Veranstaltung hat ein Filmteam um Milos Savic Aufnahmen dieser Vorträge und auch von Diskussionen gemacht, die nicht verschriftlicht wurden und so in einer nicht weniger interessanten medialen Flüchtigkeit blieben. Daneben haben sie Impressionen gesammelt vom ganzen Treiben bei diesem Anlass, auch von dem Gedränge, das es umBirdly gab, einer Flug-Traum-Maschine, mit der man per Virtual Reality durch und über New York fliegen konnte - ob es dabei auch zu Begegnungen mit Peter Schneider kam, ist nicht berichtet. Und schliesslich hat das Filmteam Aufnahmen von einer faszinierenden Installation gemacht und diese in eine ebenso faszinierende Form gebracht, die Mathias Vetter und François Chalet eigens für diese Veranstaltung entworfen und geschaffen haben: Projektionen, wozu Reée Ener ein Essay beigetragen hat.

So werden nun in der digitalen Ausgabe dieses Journals ein grosser Teil der Texte der Print-Version durch Filmaufnahmen ergänzt. Dabei wurde versucht, in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Autorinnen und Autoren und dem Filmemacher je nach Thema besondere, adäquate Formen der Assoziierung von Text und Film und ihrer Visualisierung zu entwickeln und so die jeweiligen technischen Eigenschaften und Möglichkeiten eines Mediums und ihre spezifische Formatierung der Übertragung und des Übertragenen herauszuarbeiten und zu nutzen. Bei Johannes Binotto führte das dazu, dass er seinen gefilmten, ohne Manuskript gehaltenen Vortrag durch einen Text ergänzte, in dem er nach Betrachtung der Videoaufnahmen das Gesagte nochmals zuspitzte. Ein Übertragungsgeschehen.

Jubiläen sind natürlich auch Feste, an denen man sich mit aller Pracht, in aller Vielfalt und Buntheit feiert. Und diese Veranstaltung war ein rauschendes Fest, von morgens schon recht früh bis spät in die Nacht - beinahe rund um die Uhr.

Wir hoffen, Ihnen mit dieser Ausgabe des Journals ein ähnliches Vergnügen auf verschiedenen Bühnen zu bereiten. Sehen Sie selbst!

Olaf Knellessen