ACA - The Analytic Cocktail Association.
Drink the Analyst (2017)

Anne Käthi Wehrli und Husam Suliman (Zürich)


Zusammenfassung: Die Analytic Cocktail Association lud am Jubiläumsfest PSZ reloaded 40/The Missing Link 10; Passagen Übertragungen Medialitäten am 23. September 2017 mit folgendem Einladungstext ein, sich an ihrer Bar auf verschiedene Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker in Drinkform einzulassen: «Einnehmen, verdauen, geniessen, schauen, was passiert, wenn möglich. Unser Cocktail-Menü umfasst eine Vielzahl unterschiedlichster Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker, sowie weitere Überraschungen, über die an dieser Stelle noch nichts verraten werden soll. Konsum ist nie gemütlich, und ab einem gewissen Punkt eine gänzlich unkontrollierbare Sache. Darauf wollen wir anstossen, auf einen anregenden gegenseitigen Zusammenstoss. Die Analytic Cocktail Association hat vor Kurzem angefangen sich via Drinks mit psychoanalytischer Theorie und Praxis zu beschäftigen. Dazu gehört ein zweiteiliger Denkraum, einerseits die Diskussion beim Zusammenstellen und Ausprobieren der Drinks und dann deren Herausgabe für die Öffentlichkeit, als Rezept und im Trinkglas.»



In der Analytic Cocktail Association (ACA) beschäftigen wir uns via Drinks mit psychoanalytischer Theorie und Praxis. Es gibt uns seit 2016, als wir mit der Planung für eine Bar am Jubiläumsfest PSZ reloaded 40/The Missing Link 10; Passagen Übertragungen Medialitäten begannen. An dieser Bar konnten dann zehn PsychoanalytikerInnen in Drinkform eingenommen und erfahren werden. Während wir bei der Planung und Vorbereitung meist zu zweit waren, kam am Jubiläumsfest ein ca. siebenköpfiges Bar-Team zusammen. Die Einführung in die Zubereitung der Drinks, das Mixen und in die zahlreichen wichtigen, kaum schriftlich festhaltbaren Details, die es dabei zu beachten galt, fand mehr oder weniger ad hoc und kurz vor der offiziellen Eröffnung der Bar statt. Wir dekorierten zusammen die Bar und richteten sie ein, stellten Zitronen- und Limettensaft her und holten Kühlboxen und mehrere Kilo Eis. Dann ging es los.

Im folgenden Text berichten wir über unser Vorgehen und unsere Interessen, über Erlebnisse beim Zusammenstellen der Drink-Rezepte und weitere Gedanken, die wir uns dazu gemacht haben.

Mit Fantasie zur Verführung (Husam Suliman)

Aus gegebenem Anlass wurde eine Bar benötigt. Für uns war klar, dass es nicht irgendeine sein konnte, sondern dass sie etwas Besonderes werden musste. Die initiale Idee, eine Bar aufzustellen und Drinks zu servieren, die sich zunächst parallel und unabhängig bei uns beiden entwickelte, stellte den Beginn einer intensiven Zusammenarbeit dar. Experimentell wollten wir einen neuen Zugang zum Thema Psychoanalyse erproben. In unsere Kreationen und Rezepturen sollten sowohl die Theorie der Psychoanalyse und ihrer ProtagonistInnen, die Unmittelbarkeit der psychoanalytischen Praxis, wie auch die damit assoziierten Fantasien und unsere eigenen Erfahrungen einfliessen. So sollten die Drinks einen vielfältigen Genuss und einen anderen, nicht zuletzt ästhetischen Zugang zur Psychoanalyse eröffnen.

Sowohl Laien mit all ihren Fantasien und Vorstellungen von Psychoanalyse als auch auch Professionelle mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen, welches natürlich nicht weniger von Fantasien durchtränkt ist, sollten durch unsere Rezepturen angesprochen werden und so in eine neu erlebbare und noch nie dagewesene Beziehung zur Psychoanalyse treten können.

Unsere Arbeit entwickelte sich zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik und begann viele Fragen aufzuwerfen. Wie können wir das Phänomen «Psychoanalyse» möglichst umfassend als Cocktail erlebbar machen? Von welchem Punkt wollen wir ausgehen? Sollten wir mit den wesentlichen Grundbegriffen der Psychoanalyse beginnen? Wir hätten durchaus Drinks mit dem Namen «Deutung», «Oedipus» oder «Sublimation» kreieren können, Begriffe, die einem vielleicht schon einmal begegnet sind und von denen man sich mehr oder weniger vage Vorstellungen macht. Wir kamen jedoch ziemlich schnell von dieser Idee ab. Rasch war klar, dass es nicht bloss um theoretische Begriffe gehen würde. Vielmehr sollte es darum gehen, was die Psychoanalyse ausser den mehr oder weniger harten und gut nachlesbaren Fakten sonst noch zu vermitteln oder vielmehr zu versprechen vermag. Wenn Sie eine gut sortierte Bar-Karte studieren, werden Sie folgende Namen lesen: "Bloody Mary," "Aviation," "London Fog," "Fluffy Critter," "Aurora," "Paradise," "Screaming Orgasm," "Black Velvet," "Flirtini," "Rusty Nail" oder "Death in the Afternoon." Solche Verführungen und solches Begehren sollten auch unsere Drinks auslösen.


Abbildung 1: Sigmund Freud.


Der Genuss unserer Kreationen sollte die Fantasie beflügeln und dazu verlocken, sich auf eine Art Reise zu begeben, in der das anfänglich Versprochene nicht konsequent eingehalten wird, sondern - in unseren Rezepturen vielleicht sogar gewollt - auch auf Abwege führen kann. Was vermitteln uns die Theorien der Psychoanalyse eigentlich? Was davon wollen wir auch wirklich hören? Welche Geschichten faszinieren uns? Stellen Sie sich vor, sie könnten sich bei Sigmund Freud persönlich auf die Couch legen, welche Fantasien würden Sie dabei begleiten?

Rezepte (Anne Käthi Wehrli)

Nicht nur in Kursen am PSZ ist oft der Wunsch zu hören, dass es schön wäre, ein Rezept zu haben. Ein Rezept, wie vorzugehen ist, in verschiedenen, insbesondere komplizierten Situationen, insbesondere in Momenten der Ratlosigkeit und in verzwickten Lagen. Und nicht nur in Texten über psychoanalytische Technik geht es um das Thema Rezepte und Anleitungen, sondern im Moment fast überall und die ganze Zeit: Im Tagesanzeiger, beim Znacht mit Freundinnen, an Diskussionsveranstaltungen in Kunsträumen und vielen Orten mehr geht es um die Frage, was man unternehmen muss und wie. Die Antwort ist natürlich jeweils, dass es eben kein Rezept gibt und kein zum vornherein richtiges Vorgehen und dass zudem die Vorstellung eines richtigen Vorgehens dringend zu überdenken sei. Rezepte aber deswegen einfach zu ignorieren, muss nicht sein - im Gegenteil. Beim Bedürfnis nach einem Rezept, wieso nicht zu einem Rezept greifen? Mein Vorschlag: Als erstes ein Kochrezept zu suchen mit Schwierigkeitsgrad «für sehr geübte und erfahrene KöchInnen».

Rezepte sind Mitteilungen und somit ist meine Empfehlung, einmal zu versuchen alles genau so zu machen wie es im Rezept steht; dem Rezept also minutiös zu folgen und nicht gleich so zu kochen, wie man es gewohnt ist. Man muss sich ein Rezept so vorstellen wie Yoga: Es gibt unzählige Punkte, an denen ein leicht anderer Winkel oder leicht andere Anspannungen der Muskeln sich aufsummieren und somit den ganzen Körper in ein komplett anderes (räumliches) Verhältnis bringen können. Das wollte ich nur einmal kurz erwähnen.

Worum es geht: Rezepte, so flach und kompakt geschrieben auf einem Zettel oder in einem Buch, versprechen Veränderung und Überraschungen, sie regen die Fantasie an beim Lesen, können überall hin mitgenommen werden und über Zeiten und Orte hinweg nachgekocht werden. Zumindest kann man es versuchen, wobei …

Sie setzen uns in Bezug zur Umwelt und den Umweltbedingungen, zu eigenen Limiten und Limiten der Zutaten, sie provozieren die Kompromissbereitschaft und können sogar helfen, neue Bekanntschaften zu schliessen oder eine neue Umgebung am bereits bekannten Wohnort kennenzulernen. Ebenso können sie uns auf spezielle Art mit anderen, fernen oder längst verstorbenen Leuten, Traditionen und Umständen verbinden. Um nun zu der Analytic Cocktail Association zurück zu kommen: Der C.G. Jung wurde leider am Jubiläumsabend nicht sehr häufig bestellt. Umso mehr möchte ich nun erzählen, was in diesem Drink war bzw. was er beinhaltete. Es handelt sich nämlich um unseren bisher wohl kompliziertesten Drink, was die Herstellung anbelangt.

Er bestand aus vier Einzelbestandteilen:

1. Pfefferminzsirup,

2. darin ein paar kandierte Tomaten (selbstzubereitet im Ofen),

3. dazu einen Keks in Kreuzform und,

4. ein Zettelchen auf welchem stand:

«Stellen Sie sich vor, es handle sich hier um ein Haschkruzifix» (siehe Abb. 2).

Ich bin nicht so erfahren im Backen, habe mir aber keine allzu grossen Sorgen gemacht, was die Zubereitung dieser Kreuzguetzli betrifft. Worüber ich mir aber während Wochen vorher Gedanken gemacht hatte, war die Frage, wie ich am besten den Knoblauch in dieses Gebäck einbringen könnte.


Abbildung 2: Ein Teil des C.G. Jung.


Ursprünglich wollten wir den Knoblauch kandieren, doch ich war unsicher, ob das eventuell durch den Schwefelgehalt des Knoblauchs zu giftigen Produkten führen könnte. Ich möchte jetzt nicht in unzählige Details abschweifen, aber … : Als ich am Vorabend des Jubiläumsfestes alle Zutaten in der Küche vorbereitete, es war Freitagabend und ich hörte von draussen fröhliche Stimmen von Leuten im Ausgang, es war - so habe ich es in Erinnerung - schönes Wetter, war ich frohen Mutes und freute mich auf das folgende Experiment. Ich hatte aus dem Tiptopf ein Rezept für Haselnuss-Stengelchen herausgesucht, die ich jedoch mit gemahlenen Mandeln anstatt Haselnüssen zubereiten wollte (Affolter, Felder, et al., 1990, S. 273). Den Knoblauch wollte ich als Paste einarbeiten, nachdem ich ihn nun im Ofen eine Stunde in seiner Schale gebacken hatte, wie es in einem Kochbuch mit dem Titel Garlic zu finden war (Linford, 2016, S. 23), das ich schon länger besass, aus dem ich aber noch nie etwas gekocht hatte.

Das Guetzli-Rezept hatte ich mir nun also ganz in der Fantasie zusammengesetzt aus den obigen zwei Rezepten - es schien nichts daran ein Problem darzustellen, ich sah sowohl die Herstellung wie auch die fertigen Guetzli schon vor meinem inneren Auge. Um nun direkt zum Punkt zu kommen: Alles ging gut und sogar ziemlich schnell bis ich den Teig aus dem Kühlschrank nehmen wollte, wo ich ihn zuvor für zwei Stunden kühlgestellt hatte.

Sobald ich das Wallholz auf den Teig angesetzt hatte, bemerkte ich, dass dieser leider am Holz kleben blieb, und nichts half, so dass ich den Teig schlussendlich von Hand in Kreuze formen musste, und wegen der Klebrigkeit war es nur möglich, Häufchen herzustellen, bei denen höchstens eine leise Tendenz in Richtung einer Kreuzform zu erkennen war. Ein Foto würde dies gut zeigen können. Als die Kekse dann aus dem Ofen kamen, wurde der Geschmack getestet: Ein nur knapp feststellbarer, aber unverkennbarer Knoblauchgeschmack begleitete das leckere süsse Gebäck, fast als hätte jemand beim Kochen das Messer nicht gut gewaschen.

Alle Drinks hatten also Dinge, die zu ihnen gehörten. So war zum Beispiel beim Melanie Klein eine faustgrosse Eiskugel im Becher, der Judith Le Soldat kam mit einem Löffel und den Therese Benedek durften nur Leute trinken, die keine Medikamente einnahmen.

Ein Drink für einen Namen (Husam Suliman)

Auf der Suche nach guten Namen für unsere Drinks fiel die Entscheidung recht bald darauf, diese nach Psychoanalytikern und Psychoanalytikerinnen zu benennen und dabei deren Namen, ihr Verständnis von Psychoanalyse und ihren Einfluss auf diese in unseren Rezepturen umzusetzen. Darüber hinaus liessen wir auch die Mythen und Fantasien, die sich um diese Persönlichkeiten ranken, in unsere Kreationen einfliessen. Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihr Sigmund Freud rauchig schmeckt oder Sie nach dem Genuss eines Jaques Lacan plötzlich Buchstaben im Mund haben. Wir entwickelten unsere Rezepte, indem wir uns lockeren Assoziationen zu den verschiedenen PsychoanalytikerInnen hingaben und diese dann praktisch in der Auswahl und Zubereitung von Spirituosen und Zutaten umsetzten. "Associative mixing," sozusagen. So entstanden sukzessive die fertigen Rezepturen. Dieses assoziative und durchaus sehr sinnliche Geflecht der Produktion, soll sich dann - das war und ist unsere Hoffnung - in einem ebenso sinnlich-ästhetischen Genuss - über die visuelle, olfaktorische und gustatorische Wahrnehmung - bei der Konsumtion fortsetzen. Was denken Sie wohl, wenn Sie einen schwarz-opaken Therese Benedek in der Hand halten, ihn zum Mund führen und plötzlich etwas Undefinierbares von fester Konsistenz im Mund spüren? Eine Maraschino-Kirsche war es auf jeden Fall nicht, soviel können Sie noch feststellen.

So wurden an den zuweilen bekanntesten Psychoanalytikern und Psychoanalytikerinnen auch weniger bekannte Seiten entdeckt und erlebbar gemacht. Weniger populäre Kollegen und Kolleginnen unter ihnen wurden in diesem anderen Kontext und Medium - ganz im Gegensatz zur üblichen Rezeption der Disziplin - als Drinks an der Bar zu Bestsellern. Die erste Serie wurde auf zehn Drinks limitiert - aus Gründen der praktischen Umsetzung.


Abbildung 3: Der Multipass.


Wenn Sie aber aufmerksam genug waren, konnten Sie dennoch zwölf Drinks erleben. Neben den zehn Analytikerinnen und Analytikern gab es noch zwei Spezialdrinks, welche bei der Entwicklung und Bedeutung unserer Bar und in Bezug auf den zu feiernden Anlass eine besondere Rolle einnahmen.

Der Drink bevor darüber gesprochen worden ist (Anne Käthi Wehrli)

Wie kamen wir zu den fertigen Rezepturen für unsere Drinks? Zuerst trugen wir die Idee für einen Drink über einige Tage im Hinterkopf mit uns herum. Wir liessen immer wieder - z. B. beim Warten an der Bushaltestelle, während einer Pause oder irgendeiner anderen Zwischenzeit - etwas in den Drink hineinfliessen oder in der Gegend des Drinks hin- und herfliessen.

Wieso lesen wir eigentlich psychoanalytische Texte? Nur aus professioneller Notwendigkeit - oder … ? Einige PsychoanalytikerInnen und ihre Texte haben es uns angetan. Das kann auch aus Schock beim Lesen ihrer Texte ausgelöst worden sein. Etwas interessiert einen. Etwas gefällt einem. All das, alle Details und sei es nur der ungarische Titel eines Buches, ein speziell auffälliger Hut, der an einer Konferenz getragen wurde, eine kolportierte Geschichte über einen Zwist, das Gewährenlassen von Plastikschmelzen während einer Analysestunde, eine Grussformel aus einem Brief, den man gelesen hat in den veröffentlichten Briefwechseln, eine aufgeworfene Frage, die Indifferenz einer PsychoanalytikerIn beim Schildern von dramatischen Geschehnissen, das Brei- und Schwindelgefühl beim Lesen von gewissen Texten,


Abbildung 4: W.R. Bion. Wenn Sie früh genug gekommen sind, wurde Ihnen dieser Drink in einem Menstruationsschwämmchen serviert.


generelle Abneigung oder Desinteresse an Schriften, eventuell auch bedingt durch die Meinung von anderen, Interesse oder Desinteresse wegen Unverständlichkeit, diverse Fantasien und Zusammenreimungen aus Gehörtem, Gelesenem, selbst Zusammengestricktem betreffend einer PsychoanalytikerIn, all das könnte auf gewisse Weise in den Drink hineinkommen. Ich finde es wichtig, dass hier kein Unterschied gemacht wird zwischen nachlesbaren Daten in Wikipedia, die einem wichtig erscheinen, und den persönlichsten Bezügen zu den PsychoanalytikerInnen und den psychoanalytischen Texten, selbst dann, wenn sie auf einem kompletten Missverständnis beruhen.

Darüber reden

Nun kann es sein, dass man sich Notizen macht, Sachen schon aufgeschrieben und gesammelt hat. Und dann trifft man sich einfach und redet frei, ohne Plan, und es wird so sein, dass etwas zuerst gesagt wird und anderes gar nicht. Ob alles Geäusserte so stehen gelassen wird oder noch darüber diskutiert wird steht offen. Alles was gesagt wird, kann umgesetzt werden in den Drink. Gedanken und Weiteres das nicht zur Sprache kam, sei es aus zeitlichen oder sonstigen Gründen, haben trotzdem ihren Einfluss und es ist nicht auszuschliessen, dass sogar unbewusste Beweggründe das Rezept mitgestalten.

Wir greifen nun zu den Spirituosen und kommen damit zu einem zweiten Interessengebiet.

Es ist interessant, wie das eine das andere ermöglicht und belebt, eben genau durch die Einschränkung, die diese konkrete Verbindung mit sich bringt. Das paradoxe freie Assoziieren. In diesem Fall können Einschränkungen also ermöglichen, dass Dinge überhaupt zur Sprache kommen können und dass damit auch etwas angestellt werden kann; dass man so etwas verdichten und gewichten kann.

Nachträglichkeit als Drink (Husam Suliman)

Gehen Sie in Ihre Lieblingsbar und bestellen Sie Ihren Lieblingsdrink, er wird jeden Tag anders schmecken. Wenn Sie erst einmal einige Bars kennengelernt, irgendwann Ihre Bar gefunden haben - dauerhaft oder nur auf Zeit: Sie werden immer wieder einkehren. Sie bestellen Ihren Drink, werden vertraut mit dem Bartender, mit dem Interieur, vielleicht auch mit den Bildern an den Wänden und den anderen Gästen. Sie sehen möglicherweise vertraute Gesichter und beginnen eine Vorliebe für einen Platz in der Bar zu entwickeln. Mit der Zeit bekommen Sie ein Auge dafür, was hinter der Bar passiert. Sie betrachten die Flaschen im Hintergrund, alle aufgereiht wie in einer alten Apotheke. Etwas Geheimnisvolles geht von ihnen aus. Sie beginnen zu zählen, drei, vier, … sieben, acht, … alleine elf Flaschen Gin können Sie ausmachen. Ihr Blick wandert weiter und das gleiche passiert bei anderen Spirituosen, Whisky, Wodka, Rum, Mezcal. Die ganze Kulisse eröffnet sich Ihnen und Sie sehen wie der Tender immer wieder souverän nach hinten greift, sich eine aus den zahlreichen Flaschen herausnimmt, sie auf die Bar stellt und vor Ihren Augen zu arbeiten beginnt. Sie können jeden Schritt genau mitverfolgen. Sie schauen genau hin, sehen zu wie der Bartender sorgfältig, sehr bedacht und mit Ruhe das Rührglas mit Eis füllt. Er gibt einen Spritzer Wermut hinein, rührt langsam aber mit sicherem Griff - den Barlöffel in der Hand. Er kippt die Flüssigkeit wieder weg, behält das so parfümierte und duftende Eis im schweren Kristallglas. Er greift zur Flasche, welche er zuvor aus der Wand hinter sich griff, und giesst den Gin langsam über das Eis, greift erneut zum langen silbernen Löffel und beginnt wieder zu rühren - lange zu rühren. Sie beobachten wie das Glas von aussen beschlägt, nehmen an, dass die Flüssigkeit immer kälter wird. Die trichterförmige Glasschale steht auf der Bar schon bereit und nach einer gefühlten halben Ewigkeit, seiht der Tender die dickflüssig anmutende, kristallklare Flüssigkeit vorsichtig in die Schale. Ihr Dry Martini steht vor Ihnen, Sie führen ihn langsam an den Mund, können das kühle, duftende Parfüm ausmachen, Sie nehmen den ersten Schluck, und Sie verstehen, warum es nicht nur Gin und Wermut ist, was Ihnen gerade kalt über die Lippen läuft.

Es mischt sich (Anne Käthi Wehrli)

Die Idee und Inspiration, am Jubiläumsfest eine Bar zu machen, hatte ich durch die Lektüre des Texts Wer richtig denkt, hat recht: das Irrationale in der Wissenschaft von Paul Parin (1986) - zu finden im Buch Subjekt im Widerspruch von Paul Parin und Goldy Parin-Matthèy. Dieser unaufgeregte, rührende Text beginnt damit, dass Paul Parin davon erzählt, wie ihm sein Vater berichtet, bzw. beiläufig sagt, dass er «in letzter Zeit die bekannte Störung der Nachtruhe alter Herren bei sich festgestellt habe und auch bereits einen Kräutermann im Kanton Appenzell konsultiert [habe], der ihm jetzt seine Prostata mit Augendiagnose und Kräutertee behandle» (1986, S. 175). Parin, der ja Arzt und der rational-wissenschaftlichen Medizin verpflichtet war, berichtet im folgenden Text über seine «Erfahrungen im Umgang mit der Wissenschaft» (1986, S. 175). Es sind Erlebnisse und Gedanken, zuerst über das Problem der Vernunft in der Medizin: «Wer nicht wissenschaftlich denkt und danach handelt, der handelt unvernünftig, geradezu kriminell. Kunstfehler und Strafklage stehen an» (1986, S. 176). Parin berichtet über die Legitimierung des Vernünftigen durch Autoritäten und durch die Erfahrung: «Wenn es doch reine Erfahrung, ohne Erklärung, Interpretation oder Bewertung gäbe!» (1986, S. 177). Und er erzählt über die früher gültigen Erklärungen der empirisch nachgewiesenen Wirksamkeit der Syphilisbehandlung mit Schwermetallen: Es stellte sich nachträglich heraus, dass nicht das Quecksilber gewirkt hatte, sondern der organische Träger, an den das Quecksilber gebunden war (1986, S. 177-178). Es geht in diesem Text um Vernunft und Irrationales, um den Umgang damit und den Stress und die Spannung, die einen dabei überkommen können.

Der Text hört mit einem Rezept auf: Paul Parin und Goldy Parin-Matthèy sind in Afrika an einem Fest aus dem Anlass, dass ein Jäger gestorben war. Dessen Kameraden nahmen glühende Kohlen in die Hand und assen sie. Der damalige Gesundheitsminister von Mali war auch an diesem Fest anwesend. Er war Spezialarzt für Innere Medizin und auf Urlaub in seiner Heimat. Parin berichtet wie Dolo Sominé, der Gesundheitsminister, mit den weissen Anwesenden sprach und sagte, sie sollen ja nicht nach rationalen Erklärungen dafür suchen, dass es möglich sei für die Dogon, diese heissen Kohlen in den Mund zu nehmen. Die Dogon hätten unheimliche, unnatürliche Kräfte. Dann ist der Minister zu den Dorfältesten gegangen und erklärte auch diesen den Vorgang:

Um die glühende Kohle bilde sich eine Dampfschicht. Die Jäger machen ein Pulver aus einer Pflanze, die sie kennen. Das Pulver enthält ein Harz, das bildet mit dem Dampf eine isolierende Schicht, ein Kolloid. Es ist nichts Magisches dabei im Spiel. Wer das Pulver in den Mund nimmt und etwas geübt ist, kann die glühende Kohle essen, ohne sich zu verbrennen. (Parin, 1986, S. 185)

Danach kehrt der Minister wieder zu der Gruppe der Weissen zurück und betont erneut, dass die Kraft der Jäger nicht naturwissenschaftlich zu erklären sei. Bis zum Morgengrauen geht der Minister zwischen den zwei Parteien hin und her - dazwischen geht er einige Male ins Rasthaus.

Dort steht für ihn eine Kürbisschale mit Hirsebier bereit. Er tut einen Schuss Whiskey hinein, und trinkt. Auch uns hat er davon angeboten. Es ist ein vorzügliches Getränk. Gedanken lassen sich nicht so leicht verbinden wie Hirsebier mit Whiskey. Wer da leidet, dass wissenschaftliche Mittel versagen, dass Irrationales eindringt, dem möchten wir einen Schluck von Dolo Sominés Getränk und seinen politischen Verstand wünschen. (Parin, 1986, S. 185)

Ich kann nur empfehlen den ganzen Text von Parin zu lesen. Unser Parin-Parin-Matthèy Spezialdrink stand nicht auf der Karte. Ich hatte wirklich grosse Lust auf das oben beschriebene Getränk. Wir nahmen anstatt des ausgehöhlten Kürbis eine Schale aus violettem Glas, die wie eine offene Brombeere aussah.

To be continued/the bar continues

Die ersten zehn Drinks stellen den Beginn einer fortzuführenden Arbeit dar. Die ACA-Bar kann auch in Zukunft für Anlässe innerhalb oder ausserhalb der psychoanalytischen Institution gebucht werden. Wenden Sie sich hierzu an:

analyticcocktails@gmail.com

Literatur

Affolter, U., Felder, R., Jaun, M., Keller, M. & Schmid, U. (1990). Tiptopf. 5. Ausgabe. Bern: Staatlicher Lehrmittelverlag.

Linford, J. (2016). Garlic. London, New York: Ryland Peters & Small.

Parin, P. (1986). Wer richtig denkt, hat recht: das Irrationale in der Wissenschaft. In P. Parin & G. Parin-Matthèy. Subjekt im Widerspruch (S. 175-185). Frankfurt a. M.: Syndikat.